Vor 15 Tagen wurde mein Twitter-Account @dieKadda gesperrt. Zuerst konnte ich das nicht wirklich fassen. Gesperrt? ICH?!
Ja: Ich. Wegen eines Tweets, dessen Worte ich mir vorher sehr genau überlegt habe, es war kein Reflex-Tweet, es war eine Antwort. Eine Nonemention an jene guten Menschen in meiner Timeline, die sich ob des Hashtags #TrumpHasCovid dabei ertappten, dass sie sich freuten. Gute Menschen, weil sie sich sofort dafür schämten. Deswegen schrieb ich:
„Ich glaube, es ist okay sich über #TrumpHasCovid zu freuen.“
Ich habe Trump damit nicht gewünscht, dass er krank, gar schwer krank oder sterbenskrank wird. Er hat es einfach bekommen und damit schien es plötzlich möglich, dass die monatelange Trump-Show zum Thema Covid-19 eine Wendung bekommt.
Trump hat das Virus über ein halbes Jahr lang erst als Hoax bezeichnet, als nicht so schlimm, es relativiert, die Bevölkerung angelogen, es heruntergespielt und immer wieder demonstrativ gezeigt, dass er auf Masken einen Scheiß gibt. Er wurde sogar in diesem Land zur Gallionsfigur der Covid-Leugner und jener, die Masken als „Maulkorb“ bezeichnen. Sich zu freuen, dass einer wie er, und damit hoffentlich Hunderttausende, die seinen Quatsch glaubten, nun eines Besseren belehrt wird, ist nicht verwerflich. Wie die Psychologin Lea Boecker im Spiegel-(€)-Interview sagt, ist das eher ein Zeichen dafür, dass man noch hofft, dass die Welt nach gerechten Regeln funktioniert. Dass auch jemand wie Trump Konsequenzen seines Handelns erfährt (und wie Mary Trump, die ebenfalls Psychologin ist, in ihrem Buch „Too Much and Never Enough“ darlegt, ist genau das immer das Problem in der Familie Trump gewesen, die Abwesenheit von Konsequenzen ist es, die das „Monster“ Trump erschuf).
Weiter ging mein Tweet: „Durch diesen Mann sind so viele Menschen gestorben, erleiden unnötiges Leid, der Hass, die Gewalt eskalieren. Es ist okay, dass man kurz hofft, dass es vielleicht so aufhört.“ (Der Tweet ist inzwischen gelöscht, auf Mastodon kann man ihn aber noch sehen)
Aufmerksamkeit von rechts
Danach ging meine Mentions-Spalte steil, denn ich hatte offenbar einige Beachtung in rechten Kreisen bekommen. Und mit den Mentions wurde offenbar auch fleißig gemeldet, so dass ich recht bald gesperrt wurde.
Die Begründung für die Sperrung lautete:
„Du darfst dich nicht an der zielgerichteten Belästigung von Nutzern beteiligen oder andere dazu ermuntern“
Was ich nicht getan habe. Wie man in obigem Video sieht, bin ich eher genau davon Opfer geworden. Weiter heißt es:
„Jemand anderem körperlichen Schaden zu wünschen oder Hoffnungen in dieser Richtung zu äußern, zählen zu einem solchen Verhalten dazu.“
Wie schon gesagt, habe ich meine Worte mit Bedacht gewählt, denn jemand anderem körperlichen Schaden zu wünschen ist einfach auch nicht meine Art. Ich wünsche oder hoffe nicht einmal selbst, sondern bemerke, dass ich es okay finde, wenn man „kurz hofft“, dass es so aufhört. Dass was aufhört? Na was im Satz davor steht: dass Menschen sterben, dass sie unnötiges Leid erleiden und dass Hass und Gewalt geschürt werden.
Die gängige Interpretation von denjenigen, die sich aufgeregt und gemeldet haben, die bei genauer Betrachtung – ich habe mir deren Profile angesehen, während ich fleißig blockte – zu 90 % entweder Covid-Leugner oder eben Rassisten waren, war: Katrin Rönicke wünscht Trump den Tod. Ich finde, das sagt mehr über diese Leute aus, als über mich und ich wundere mich sehr, dass Twitter dieser Interpretation gefolgt ist. Wenn man einigermaßen Leseverständnis hat, steht das da nämlich nicht.
Covid-19 im Fokus der Debatte
Für mich persönlich war die Nachricht, dass Trump erkrankt ist, in der Tat ein kurzer Hoffnungsschimmer, dass sich nun auf irgendeine Weise etwas ändert. Nicht durch seinen Tod, oder weil er so schwer erkrankt, dass gar nichts mehr geht – sondern weil es gerade nach dem Duell gegen Biden, in dem Trump vielleicht nicht einmal wusste, welche Geister er rief, als er zu den „Proud Boys“ sprach, einfach mal kurz um etwas anderes ging, als Trump wollte. Trumps Taktik war bis dahin, im Wahlkampf den Fokus von COVID-19 und seinem völligen Versagen auf dem Feld – und Versagen ist schon ein Euphemismus, wenn man bedenkt, dass Hunderttausende US-Amerikaner gestorben sind! – abzulenken, vor allem indem er den starken Mann gegen die #BLM-Proteste im Land spielte. Der starke Mann ist durch und durch Trumps Lieblingsrolle – insofern passt eine Covid-Infektion doppelt nicht in den Plan.
Trumps Umfragewerte sinken in der Tat seit der Infektion, es scheint ihm immer schwerer zu fallen, über seine Hardcore-Fans hinaus Menschen für sich zu begeistern*. Sprich: Die Covid-19-Infektion könnte ihn die Wahl kosten. Die Hoffnung, dass es so endet, nämlich indem die Covid-Infektion den letzten Ausschlag geben könnte, Trumps Wiederwahl am 03.11. zu verhindern, die ist nicht einmal falsch gewesen.
Die Trump-Show geht weiter
Was dann kam, wissen wir alle: Trump kam ins Krankenhaus (hier versuchte das Weiße Haus herunterzuspielen, wie ernst es um ihn stand), er produzierte von dort ein paar Bilder, die signalisieren sollten, dass er immer noch imstande war, seinen Job zu machen, dann kam er sehr schnell, vorzeitig, wieder zurück ins Weiße Haus und inszenierte sich sofort mit noch mächtigerer Bildsprache als den, der das Virus besiegt hat – das Coronavirus sei „like a blessing from god“. Und dann als den, der zeigt: JEDER kann das Virus besiegen, dazu Werbung für eine Pharma-Firma, mit dessen CEO er verkumpelt ist, Anpreisung der noch experimentellen Theapie als „Cure“ und dass er wolle, dass ALLE diese Behandlung bekommen. Also er *will* das. Aber er hat nicht gesagt, dass er *dafür sorgen* wird.
Wie dem auch sei: Durch die schnelle Genesung konnte die Trump-Kampagne auch schnell wieder dazu übergehen, die Bildsprache des starken Mannes noch weiter hochzufahren. Sehr schön analysiert von meinen Kolleg*innen bei Lakonisch Elegant. Die Trump-Show kann weitergehen, dank der magischen Genesung des Präsidenten, für dessen Anhänger*innen nun umso klarer ist, dass er mit allem Recht hatte: Das Virus ist also wirklich nicht so schlimm und er wird alle retten (naja, er WILL. Aber sie verstehen WIRD). Insofern ist die schnelle Genesung in Bezug auf die oben geschilderten Hoffnungen – Hoffnung auf einen Wechsel, auf eine Wahlschlappe am 03.11., auf ein Ende der Gewalt, des Hasses und des Leids – nicht gerade förderlich. Und das war absehbar.
Fazit
Mein Tweet wünschte Donald Trump keinen körperlichen Schaden, sondern dem amerikanischen Volk ein Ende der Präsidentschaft durch Donald Trump. Ich gebe zu: Eine so schnelle Genesung habe ich ihm auch nicht gewünscht. Warum, haben wir jetzt alle gesehen.
Twitter lässt mich an mein Konto nur, wenn ich meine Handy-Nummer abgebe, damit sie mir eine SMS schicken können. Ja, ich habe schon eine Prepaid-Zweitnummer bestellt, weil das auch für andere Zwecke ja auch mal sinnvoll sein kann – ich habe schließlich auch eine gesonderte E-Mail-Adresse für solche Zwecke. Doch die Zweitnummer wird für den Account von anekdotisch evident draufgehen (wurde einfach mal mitgesperrt; angeblich „automatisiertes verdächtiges Verhalten“) und man kann keine Nummer zweimal benutzen. Und eine Drittnummer werde ich mir nicht zulegen. Nicht für twitter. Nicht nach dieser Aktion. Stattdessen wird jetzt eben wieder gebloggt. Hallo und willkommen bei nebenbei bemerkt, dem Blog, in dem ich meine Gedanken, Analysen, Fotos, Buchtipps, Kurzgeschichten (who knows?) und ja – auch ein paar nicht gesendete Tweets festhalten werde.
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* Jaja, die Umfragen sind vermutlich für die Tonne, aber auch, wenn sie nicht darstellen, was die Realität ist und es Fehler gibt, so kann man Trends erkennen und die Trends zeigen seit der Covid-Diagnose abwärts für Donald Trump.
Update vom 19.10.2020:
Nach 17 Tagen Sperre hat es heute geklappt. Ich konnte die neue Zweitnummer tatsächlich für beide Accounts nutzen, habe dann noch Einspruch gegen die Löschung des Trump-Tweets eingelegt und jetzt bin ich wieder da und der Tweet ist es auch.