Ich möchte von einer Schule erzählen, nennen wir sie „Schule 1“:
Die Schule hat 2020, schon zum ersten bundesweiten Lockdown, umgestellt auf ein bereits vorher etabliertes System zum Distanzunterricht. Bestandteil waren Videokonferenzen, ein digitaler Kalender mit Erinnerungen, digitaler Aufgabenabgabe, Chat- und Forums-Funktion für die ganze Klasse oder private Chats.
Es wurde jeder Tag per Videokonferenz von der Klassenlehrerin begonnen, alle Schüler*innen wurden also morgens zur gleichen Zeit abgeholt. Am Anfang der Woche wurde für jedes Fach ein Wochenplan „ausgeteilt“ (digital, gut lesbar!), den die Kids zu bearbeiten hatten.
Die Kids kannten das schon, da auch sonst im „normalen“ Unterricht Wochenpläne und Freiarbeit fester Bestandteil ihres Schulalltags waren.
Analog zum früheren Stundenplan hielt jedeR LehrerIn seinen Fachunterricht per Videokonferenz ab. Die LehrerInnen hatten gut strukturierte Slides dabei, die den SchülerInnen zum Download zur Verfügung standen. Bei Rückfragen zu den Wochenaufgaben war jedeR LehrerIn für jedeN SchülerIn erreichbar.
Kein Computer zuhause? – Kein Problem. In der Schule wurden mehrere Räume samt Computern und Internet zur Verfügung gestellt, die von den SchulsozialarbeiterInnen betreut wurden. Es waren zwar nie mehr als fünf SchülerInnen dort, aber diese waren eben dort und wurden betreut.
Für die Zeit der Pandemie konnte die Schule auch mittels Fördergelder eine Schulpsychologin anstellen, die für alle SchülerInnen online ansprechbar war und in engem Austausch mit den SozialarbeiterInnen stand, um auch proaktiv eventuelle Probleme anzugehen.
Wie gestaltete sich das aus Sicht der Eltern? – Die Kids waren den ganzen Vormittag beschäftigt. Wenn keine Videokonferenz war, gab es Aufgaben zu erledigen. Ja, zwischendrin wurde auch mal geslackt und Computerspiele gezockt – aber dann musste eben Donnerstag/Freitag rangeklotzt werden, denn dann war ja Abgabe. Und nicht nur das: Am Ende der Woche gab es wieder eine abschließende Videokonferenz mit der Klassenlehrerin, wo auch Sorgen oder Nöte angesprochen werden konnten. So wurde zu jeder Zeit auch gesehen, welche Kids sich eher schwer taten mit der Motivation (die Mehrheit) und nach ca. 2-3 Wochen konnten diese gut eingefangen werden. Es gab unterm Strich nach mehreren gemeinsamen Wochen (=gemeinsames Lernen, mit der neuen Situation umzugehen), keine nennenswerten Probleme. Es fiel auf diese Weise niemand durchs Netz. Wirklich alle SchülerInnen und meines Wissens auch aller Jahrgänge, konnten gut mitgenommen werden – ein besonderes Aufholangebot in den Sommerferien, wie vom Berliner Senat angeboten wurde, war nicht notwendig für die SuS.
Die Abiturnote 2021 war zudem der beste Schnitt, den die SuS an der Schule je erreicht hatten. Offenbar konnten insbesondere die AbiturientInnen die Zeit zuhause gut nutzen, sich konzentriert auf die Prüfungen vorzubereiten.
Schon im Herbst 2020 stand die Schule bereit, entweder in den Wechsel- oder ganz in den Distanzunterricht zu gehen. Allein: sie durfte nicht. Denn die meisten anderen Schulen waren nicht bereit. Nennen wir diese Schulen „Schule 2“:
Schulen, an denen die SuS manche ihrer LehrerInnen den kompletten Lockdown über kein einziges Mal sehen konnten.
Schulen, an denen die SuS ein Mal pro Woche die Arbeitsblätter abholen mussten, da es nicht möglich war, diese digital auszuteilen.
Schulen, an denen Videokonferenzen nicht stattfinden konnten, da „das System überlastet“ war.
Schulen, an denen SuS ohne Tablet/PC/Internet – oder gar eigenes Zimmer/eigenen Schreibtisch eben „Pech“ hatten. Es gab für sie kein Angebot (außer, in den Sommerferien alles aufzuholen).
Schulen, an denen Kinder sich selbst anhand von (teils komplizierten) Texten Dinge erschließen sollten – ihr Lernerfolg also davon abhing, wie gut die Eltern sich noch erinnerten… Eine Kontaktmöglichkeit von SchülerIn zu LehrerIn gab es nicht. Nie.
Ich habe beide Schulen kennengelernt. Ich kann alle Eltern verstehen, die Angst vor Distanzunterricht haben, weil ihre Schule das einfach nicht gut gemacht hat. Aber was alle wissen sollten: es wäre auch anders gegangen. Und es war nie zu spät, allen SuS eine Schule 1 zu bieten. Es sind bald zwei Jahre vergangen, man hätte vieles aufbauen und verbessern können. Wenn ein Wille da gewesen wäre.
(Ja, ich habe auch absichtlich etwas kontrastiert in meinen Schilderungen, denn sicher war an Schule 1 nicht alles immer für alle supi und an Schule 2 nicht alles nur schlimm. Aber der Kontrast entstand zu einem übergroßen Teil von ganz allein, einfach durch diese beiden komplett unterschiedlichen Realitäten).
Für mich besonders traurig war eine Geschichte hier in Hamburg:
„Wir haben viele iPads bekommen, aber niemand kann sie einrichten, deshalb liegen sie noch in der Schule…“
„Distanzunterricht klappt nicht, viele SuS haben keine Geräte“
Legt man beides übereinander, ist ein Problem und eine Lösung sichtbar.
Leider „darf“ man es aber nicht lösen.
/o\